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6.1.2.1. Welche Kommunikationsformen unterstützt Chat (IM)
 
Jedes Kommunikationsmittel hat seine eigenen Besonderheiten und speziellen Anwendungsszenarien. Die Besonderheiten des Chats in der privaten Kommunikation wurden in den letzten Jahren umfangreich durchleuchtet. Neuerdings werden nun auch die Besonderheiten untersucht die Chat-Tools im Arbeitsumfeld bieten. An Hand zwei ausgewählter Artikeln möchte ich nun einen Ausschnitt dieser Erkenntnisse präsentieren.

“The Adoption and Use of 'Babble': A Field Study of Chat in the Workplace”
Im diesem Artikel von Bradner et al. (1999) werden genau vier Kommunikationsformen: „Auflauern“, „unaufdringliches Benachrichtigen“, „sich am Laufenden halten“ und „der sanktionsfrei Diskussionsraum“, detailliert besprochen. Es wird erläutert welche technischen Funktionalitäten diese Kommunikationsformen ermöglichen und welche sozialen Reaktionen, wie Begeisterung oder Ablehnung, sie hervorrufen.

Bradner et al. (1999) haben zwei Arten von „Auflauern“ bei der Benutzung des eingesetzten Tools identifiziert. Bei der ersten Art schickt ein Benutzer eine Frage an eine bestimmte Person. Das Fenster des begonnenen Gespräches bleibt so lange offen bis die Person antwortet. Diese Art von „Auflauern“ wird in Bereichen, in denen schnelles Antworten auf technische oder ähnlich konkrete Angelegenheiten wichtig ist, als sehr nützlich empfunden. Arbeitsbereiche in denen ein hoher Level an Interaktion zwischen den KollegInnen herrscht, sehen in diesem Zusammenhang den Chat als sehr hilfreiche Unterstützung. Bei der zweiten Art von „Auflauern“ schickt ein Manager einen Arbeitsauftrag an einen Untergebenen. Das Verteilen von Arbeitsaufträgen wird auf diese Art einem Manager erleichtert, da auf diese Weise der Aufwand des sozialen Rahmens (z.B.: auf den anderen zugehen und nach dem Befinden fragen) viel leichter weggelassen werden kann als bei einem persönlichen Gespräch. Diese Kommunikationsbeziehung kann in einer starken Ablehnung von Untergebenen resultieren, da sie mit einem höheren Aufkommen an zusätzlichen Arbeitsaufträgen rechnen.

Die Möglichkeit des „unaufdringlichen Benachrichtigen“ steht in einem starken Kontrast zum „Auflauern“. Einige Benutzer berichteten, dass sie das Chat-Tool dann einsetzten, wenn Sie ihre KollegInnen so wenig wie möglich unterbrechen wollten. Sie stellten Ihre Frage in den Raum an eine oder mehrere Personen, ohne eine sofortige Beantwortung zu verlangen. Wurde eine Frage an eine Gruppe gestellt kann jeder einzelne der Gruppe feststellen, ob bereits Antworten angeboten wurden, da der Gesprächsverlauf für alle Beteiligten mitgespeichert wird. Würde man die gleiche Anfrage über E-Mail stellen, ist nicht gesichert, dass alle Befragten den Fortlauf des Gespräches mitverfolgen können, da nicht alle E-Mail-Antworten automatisch an alle weitergeleitet werden.

Der Effekt des „sich am Laufenden halten“ kommt dann zu tragen, wenn einer Arbeitsgruppe ein permanenter Chat-Raum zu Verfügung steht und sich in gewisser Weise kontinuierliche Berichterstattungen oder Problemerörterungen durchgesetzt haben. Auf diese Weise können KollegInnen, die zum entsprechenden Zeitpunkt die Gespräche nicht mitverfolgen konnten, jederzeit den Stand der Dinge nachlesen. Synchrone als auch asynchrone Gesprächsverläufe treten in diesem Zusammenhang auf. Der Sender der Nachricht muss auf diese Weise auch nicht entscheiden, wer nun die entsprechenden Informationen benötigt bzw. Informationsanfragen beantworten kann, sondern stellt sie der gesamten Gruppe zu Verfügung.

Der beschränkte Zugang zu bestimmten Chat-Räumen gibt den Benutzern das Gefühl sich in einem sicheren, geschlossenen, „sanktionsfreien Diskussionsraum“ zu befinden. Die in diesem Raum präsentierten Ideen und Ergebnisse haben einen sehr informellen Charakter und bedürfen keiner offiziellen Makellosigkeit. Der Wert dieses Kommunikationsaspektes wurde bei einer Anwendergruppe besonders deutlich. Als bei dieser Gruppe ein Kunde Zugriff auf den Gruppenchat-Raum bekam, verlor die Kommunikation deutlich an Intensität und Qualität. Die darin enthaltenen Gespräche konnten nun Konsequenzen nach sich ziehen.

Interaction and Outeraction: Instant Messaging in Action.
Der zweite Artikel von Nardi et al. (2000) betont die große Bedeutung von informeller Kommunikation. Nardi et al. (2000) definiert informelle Kommunikation als ungeplant, kurz, kontextreich und dyadisch (zwischen zwei Personen). Weiters meinen sie: „these interactions support joint problem solving, coordination, social bonding, and social learning – all of which are essential of complex collaboration“. Mit ihrer Studie, die aus einer Befragung von 20 Instant Messanger-Benutzer besteht, beabsichtigen sie die klassische Medientheorie mit neuen Erkenntnissen herauszufordern. Dazu führen sie drei Aspekte an, die in der klassischen Medientheorie bislang unbeachtet blieben.

Als erstes stellen Sie ein bei den IM-Benutzern beobachtetes Phänomen vor, das Sie „Outeraction“ nennen. Outeraction wird von ihnen als Vorbedingung für „Interaction“ gesehen. Outeraction beschreibt die Prozesse, die informelle Kommunikation erst ermöglichen. Dazu gehören die Verfügbarkeitsbereitschaft, das Verweilen in und die Pflege einer gemeinsamen Kommunikationszone und die Handhabung der Rahmenbedingungen eines Interaktionsfortgangs (z.B. Anwendung eines Kommunikationsmittels). Nardi et al. (2000) sehen „Outeraction“ als eine Reihen von ineinander verketteten und rückgekoppelten Prozessen. „Awareness moments create personal connection that lay the groundwork for interactions, drawing people into a common communicative arena“. Die allgemeine Aufmerksamkeit für die KollegInnen innerhalb der “Kommunikationsarena” wirkt wie ein allgemeingültiger Vertrag zur Interaktionsbereitschaft.

Als zweites stellen Nardi et al. (2000) fest, dass ein Gesprächsverlauf auch temporär erfolgen kann. Sie nennen dies „intermittent conversation“. Damit ist gemeint, dass die Gesprächspartner nicht durchgehend miteinander sprechen müssen um das Gespräch aufrecht zu halten. Ein Gesprächsverlauf kann sich also mit Hilfe von IM auch über einen längeren Zeitraum mit zwischenzeitlichen Gesprächspausen erstrecken. Dies ist vor allem deshalb möglich, weil der vergangene Gesprächsverlauf immer abrufbar ist und nachgeschlagen werden kann. Es gibt auch oft kein Zeitlimit bis wann eine Antwort spätestens erfolgen muss. Ein Fragender weiß nie genau, wann der Befragte Zeit für die Antwort hat, so dass Wartezeiten von vornherein in Kauf genommen werden, auch wenn man meistens sehr schnell eine Rückmeldung bekommt. Dieser Umstand ermöglicht auch einen Spielraum für eine längere Nachdenkpause, die während eines Telefonates unmöglich wären.

Drittens haben Nardi et al. (2000) entdeckt, dass im Zusammenhang mit der Benutzung von IM das Wechseln des Kommunikationsmittels während eines Gesprächsverlaufs, verstärkt auftritt. Wendet sich ein Gespräch komplexeren Sachverhalten zu, so wird das Gespräch oft am Telefon oder persönlich weitergeführt. In solchen Fällen verliert die Nutzung von IM an Effizienz. Komplexe Konversationen würden über IM viel länger dauern und mehr Aufwand erfordern als ein telefonisches oder persönliches Gespräch. Laut Nardi et al. (2000) wird das Auftreten von Medienwechseln, der in der klassischen Kommunikationstheorie noch völlig vernachlässigt.

Schlussendlich führen Nardi et al. (2000) noch weitere Aspekte der IM-Kommunikation an. Diese stellen jedoch die Grundsätze der klassischen Medientheorie nicht in Frage. Sie fassen zusammen, dass bei der Verwendung von IM generell ein ungezwungener und freundlicher Kommunikationsstil vorherrscht. Sie nehmen an, dass dies in der synchronen Form von IM-Konversation liegt. Sie zitieren in diesem Zusammenhang einen ihrer Interviewpartner, einen Softwareentwickler: „Conversation can be more interactive because the rapid and evolving nature of IM means that there is immediate context for the current interaction. This context seems to reduce misunderstandings and promote humor.” Perfekte, fehlerfreie Formulierungen werden bei der IM-Kommunikation nicht verlangt. Zusätzlich fällt es hier auch leichter, höfliche, gesprächseinleitende Floskeln wegzulassen, so dass kurze Anfragen viel rascher gestellt und beantwortet werden können. Instant Messanger sind daher das ideale Kommunikationsmittel für kurze Fragen. Auch die Koordination von Terminen und ad hoc-Treffen lässt sich sehr leicht über IM organisieren, da die Erreichbarkeit der einzelnen Personen über IM bedeutend höher ist. Die höhere Erreichbarkeit ist nach Nardi et al. (2000) ein Resultat der geringeren Asymmetrie von Kommunikationsbereitschaft zwischen Gesprächsinitiator und –empfänger. Informelle Gespräche passieren spontan und ungeplant. Zeitpunkt und Inhalt von informellen Gesprächen werden vom Initiator gewählt und können für den Empfänger ungünstig und störend sein. Beim IM kann jeder angeben, inwieweit er bereit ist, seine Arbeit durch spontane Anfragen zu unterbrechen. Die verschiedenen Anzeigemöglichkeiten von Bereitschafts- bzw. Anwesenheitsstatus machen dies möglich. Zusätzlich ist das Eingehen einer IM-Nachricht um einiges unaufdringlicher als das Läuten eines Telefonapparates oder eine direkte Anfrage. Zu guter letzt hat ein IM-Empfänger eine größere Kontrolle über die Entscheidung ob und wann er eine Nachricht beantworten möchte. Bei einem Telefonanruf weiß man erst, wenn man abhebt, ob die Anfrage dringend bzw. wichtig ist und dann ist man aber bereits dazu gezwungen, Frage und Antwort zu stehen. In diesem Zusammenhang erwähnen Nardi et al. (2000), dass 60% aller Telefonanrufe am Arbeitsplatz erfolglos enden. Schlussendlich berichten Nardi et al. (2000) von Beispielen bei denen IM-Gespräche nebenher stattfinden. Es ist möglich, parallel zum Gespräch gewisse Arbeiten zu erledigen oder auch an einer Telefonkonferenz teilzunehmen.



Metainfo:
AutorIn: Astrid Holzhauser; Copyright: Astrid Holzhauser; Publiziert von: Astrid Holzhauser (Astrid_H)
factID: 154861.1; Publiziert am 29 Apr. 2004 15:12
 
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